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BUNTE-Magazin: Psycho-Onkologie: Mit der Kraft der Seele den Krebs bekämpfen

Aktualisiert: 26. Aug. 2019




Etwa 500.000-mal hören Menschen in Deutschland jedes Jahr diesen Satz: „Sie haben Krebs.“ Ein Drittel der Patienten leidet nach der Diagnose unter mindestens einer psychischen Störung, 40 Prozent wünschen sich soziale Unterstützung. Dr. Angela Grigelat, niedergelassene Psychologin in München, kennt viele Menschen hinter diesen Zahlen. Sie weiß: Die Krankheit verursacht oft Ängste, Scham und Depressionen. Als Psychoonkologin hat sich die Therapeutin auf Patienten, die Krebs haben,spezialisiert.





Etwa 500.000-mal hören Menschen in Deutschland jedes Jahr diesen Satz: „Sie haben Krebs.“ Ein Drittel der Patienten leidet nach der Diagnose unter mindestens einer psychischen Störung, 40 Prozent wünschen sich soziale Unterstützung. Dr. Angela Grigelat, niedergelassene Psychologin in München, kennt viele Menschen hinter diesen Zahlen. Sie weiß: Die Krankheit verursacht oft Ängste, Scham und Depressionen. Als Psychoonkologin hat sich die Therapeutin auf Patienten, die Krebs haben, spezialisiert.



Frau Dr. Grigelat, wieso gibt es für Krebskranke einen speziellen Psychologen?

Dr. Angela Grigelat: Zunächst einmal: Nicht jeder, der Krebs hat, braucht psychologische Hilfe. Wir wissen, dass etwa 70 Prozent auch ohne Unterstützung gut zurechtkommen. Auch ein Großteil meiner Patienten ist psychisch gesund und nur durch den Krebs temporär aus dem Gleichgewicht geraten. Für viele bleibt Krebs allerdings ein Lebensthema, selbst dann, wenn sie beschwerdefrei sind und keinen Rückfall bekommen.

Natürlich können sie wieder ein tolles Leben führen – aber es ist ein anderes als das von jemandem, der keinen Krebs hatte. Was macht Sie als Expertin so besonders? Wir Psychoonkologen wissen viel über die medizinische Realität, in der sich die Patienten bewegen. Wir wissen vor allem auch, dass es am Ende des Tunnels wieder heller wird, und diese Hoffnung vermitteln wir. Deshalb wird in meiner Praxis nicht nur geweint, sondern auch viel gelacht.


Was treibt Ihre Patienten um?

Allgemein: wie ein gutes Leben mit Krebs gelingen kann. Und speziell: wie sie mit Ängsten und Belastungen während der Therapie umgehen. Etwa dem Partner, der am Abend vor der Chemo per SMS Schluss macht. Der Mutter, die von der Tochter verlangt, eine Perücke zu tragen, man könne sie ja nicht ansehen. Der Krankenkasse, die einer Patientin die Reha nicht genehmigt, weil es ja eh keine Perspektive mehr gebe. Dem Chirurgen, der sagt: „Machen wir doch die andere Brust gleich mit, hängt ja alles!“ Das ist oft starker Tobak.


Was ist mit dem Thema Tod?

Wir sprechen viel über Endlichkeit und auch das Sterben. Schwierige und leidvolle Emotionen sind hier nicht tabuisiert. Das ist für den Patienten hilfreich und macht so eine Praxis zu einem speziellen Ort.


Geht es denn nicht vielmehr um Trost?

Angehörige wollen oft trösten und wünschen sich, dass der Kranke positiv denkt. Aber der möchte auch aussprechen dürfen, wenn er mal untröstlich ist. Wir Psychoonkologen haben uns mit bestimmten Tabus intensiv beschäftigt. Wir wissen, dass sich nicht alles am Ende des Lebens versöhnen lässt, so, wie wir es aus Filmen kennen.


Und Beschwichtigung ist nicht hilfreich?

Das hieße ja, den Schmerz kleinzureden. Manchmal hat man einfach keine Worte mehr. Wenn ein Baby die junge Mutter verliert, ist da wenig Versöhnliches. Oder wenn eine Frau daran verzweifelt, dass ihr Mann nach ihrem Tod nicht trauern, sondern sich schnell trösten wird. Solche Gefühle gilt es, gemeinsam auszuhalten. Das Ziel ist nicht, billigen Trost anzubieten.


Wer kommt eigentlich zu Ihnen?

Zumeist nicht die Patienten, die eben erst die Diagnose bekommen haben – die sehen meine Kollegen in der Klinik. Da geht es um andere Themen, etwa Notfallpsychologie. Menschen stehen unter Schock, hören selbst Wichtiges oft nicht wie: „Wir operieren in sieben Tagen.“ Man schaut: Wie kann man jetzt Erleichterung schaffen? Medikamentös oder mit Entspannungsverfahren? Es geht viel um die Ängste vor der OP, Schmerzen, Übelkeit. Um die drohende Versehrtheit des Körpers, Entstellung. Da ist das Ziel, mit dem Aussehen umgehen zu lernen, den Selbstwert zu stärken. Wenn Sie in der Krebstherapie sind, ist der Körper oft ein Schlachtfeld. Es wäre wichtig, ihn wieder positiv zu erleben, durch Entspannung oder eine Massage.


Worum geht es dann in Ihrer Praxis?

Die Themen sind breiter. Viele kommen am Ende der Therapie, die bei Brustkrebs etwa ein Jahr dauert. Das ist oft ein kritischer Punkt. Für den Patienten beginnt die Auseinandersetzung, er weiß nicht, wo er steht, fühlt sich geschunden und erschöpft. Gerade wenn das Umfeld denkt: alles wieder gut! Andere kommen nach 20 Jahren, weil sie der Gedanke an den Krebs nicht loslässt. Aber sie sind doch schon lange geheilt! Körperlich ja. Aber sie sind dünnhäutig geworden, verletzlich. Manche entwickeln ein neurotisches Verhältnis zu harmlosen Körpersymptomen. Ein Ziehen im Rücken winkt man nicht durch, sondern denkt: „Der Krebs ist zurück!“ Diese sogenannte Progredienzangst ist oft schwerer zu behandeln als neurotische Ängste. Denn die Ängste vor einem Rückfall sind ja real! Es ist ein Leben mit einer Unsicherheit, die Gesunde schwer nachvollziehen können.


Ihrer Meinung nach: Wer bekommt überhaupt Krebs?

Es gibt viele Studien dazu, ob psychologische Faktoren oder Traumata eine Rolle spielen – keine konnte einen Zusammenhang belegen. Auch die Idee von der Krebspersönlichkeit, also dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale Krebs befördern, ist überholt. Trotzdem höre ich oft: „Meine Mutter war ein Biest, sie hat meinen Krebs verschuldet.“ Oder: „Ich habe mich verschlissen, bin selbst schuld.“ Leider wird so etwas oft im Umfeld an die Patienten herangetragen. Oder von alternativen Behandlern, was mich besorgt.


Was sind die Auswirkungen?

Das ist eine totale Infragestellung des eigenen Lebens! Und nichts, was die Anpassung an den Krebs verbessert. Studien zeigen, dass Leute, die glauben, dass eine Beziehung die Krankheit verursacht hat, sie nicht gut bewältigen. Natürlich arbeiten wir trotzdem an dem Thema. Es geht dabei um eine bessere Selbstfürsorge.


Was heißt das genau?

Zu gucken: Wie stelle ich mich jetzt auf? Was will ich ändern – oder nicht? Schlimm ist ja dieser allgemeine Veränderungsdruck. Gott sei Dank sagen viele auch: „Mein Leben war gut, ich will es genau so wiederhaben!“


Wer geht mit der Diagnose am besten um?

Reiferen Menschen fällt die Anpassung oft leichter. Sie haben bereits Erfahrung mit Verlusten, einen anderen Blick auf die Lebensspanne. Es gibt bei Jungen oft eine tiefe Verzweiflung darüber, dass das Leben so abgekürzt werden soll. Aber wir wissen auch, dass seelische und körperliche Verfassung nicht eng miteinander zusammenhängen. Ich kenne junge Frauen mit Hirnmetastasen, die ihr Leben sehr genießen – und Patienten mit super Prognose, die am Boden sind. 


Warum ist das so?

Jeder hat andere Ressourcen: die Partnerschaft, familiäres Umfeld, Finanzen. Und: Für manche ist das Glas eben halb voll, ganz unklinisch gesagt. Früher dachte man, es gebe einen Königsweg, wie man mit Krebs gut umgeht. Die Amerikaner nannten das „fighting spirit“, denken: „Ich schaffe das!“ Heute wissen wir: Es gibt keine Art, mit Krebs umzugehen, die für das Überleben besser ist als eine andere. Es gibt aber eine Tendenz, dass aktives Engagement, also Kontakte und Austausch, besser ist als Passivität.


Also bloß nichts verdrängen?

Eine gesunde Verdrängung ist was wert! Für Langzeitpatienten ist es ein kostbares Gut, nicht ständig an die Prognose denken zu müssen. Man darf sich auch die Freiheit nehmen, die Erkrankung vor manchen zu verbergen, wenn es einem damit besser geht. Es gilt: Wer heilt, hat recht!


Ist Ihre Arbeit heutzutage leichter?

Sie ist nun anerkannt. Vor 30 Jahren fragten mich in der Klinik Ärzte und Patienten, was ich dort wolle. Dabei waren die Zustände etwa in der Knochenmarktransplantation schrecklich, die Sterberaten hoch, der Patient lag Monate isoliert in einem Zelt. Auch die Forschung ist heute weiter. Früher ging es um Aufklärung: Was darf der Patient wissen? Es war ja lange so, dass der Kranke nicht eingeweiht wurde, sondern nur die Familie, die sich dann um alles kümmerte. So ist es in anderen Kulturen, etwa in Griechenland, immer noch.


Was ist mittlerweile wichtig?

Heute geht es um die Langzeitfolgen von Therapien, die wir erstmals überblicken. In den 80ern gab es neue Chemosubstanzen für Hodenkarzinompatienten, die damit plötzlich eine echte Heilungschance hatten. Nun sind diese Männer Mitte 50 und haben z.B. Herzprobleme als Chemo-Spätfolge. Wir reden auch kontroverser als früher über die Palliativphase und eine Therapiebegrenzung. Also: Wann ist es genug und wie bespricht das der Arzt mit dem Patienten? Das sind wichtige Fragen, auf die wir eine Antwort finden müssen.


https://www.bunte.de/fitness/gesundheit/psycho-onkologie-mit-der-kraft-der-seele-den-krebs-bekaempfen.html

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DR. PHIL. ANGELA GRIGELAT
DIPL. PSYCHOLOGIN
PSYCHOLOGISCHE PSYCHOTHERAPEUTIN

VERHALTENSTHERAPIE

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