PSYCHOONKOLOGIE IN DER KREBSMEDIZIN
Psychoonkologie – Was genau ist das eigentlich?
Die Krebsmedizin ist in den letzten 20 Jahren eine andere geworden,
vor allem eine bessere.
Mehr Heilungen, längere Überlebenszeiten, bessere Lebensqualität und Kontrolle von Nebenwirkungen. Behandlungen gestalten sich zwar zunehmend komplexer und dauern länger, können aber viel häufiger als früher ambulant stattfinden. Die Tumorbehandlung, die neuerdings um die immuntherapeutischen Verfahren erweitert wird, liegt zunehmend in der Hand spezialisierter Zentren, in denen sich die Krebstherapie an wissenschaftlichen Leitlinien orientiert und Behandlungsstandards sowie Qualifikation der Ärzte Kontrollen unterliegen. Auch in puncto Patientenorientierung hat sich viel getan. Patientenrechte sind gesetzlich verankert und Kranke werden viel selbstverständlicher als früher in die medizinische Entscheidungsfindung einbezogen. Den meisten Onkologen, die ich kenne, ist es ein Anliegen, mit ihren Patienten auf Augenhöhe zu sprechen.
BRAUCHEN KREBSPATIENTEN ÜBERHAUPT PSYCHOTHERAPIE?
Welchen Stellenwert hat die psychoonkologische Praxis bei all diesen günstigen Entwicklungen? Reichen denn nicht eine gute medizinische Versorgung, verständnisvolle Ärzte, Freunde und Familie aus, um einen Krebspatienten durch die Zeit der Behandlung zu begleiten? Und haben nicht die meisten Menschen genügend eigene Kraft, um eine Lebenskrise bewältigen zu können?
In der Tat ist es keinesfalls so, dass jeder Krebspatient einen Psychotherapeuten braucht und eine Krebsbehandlung grundsätzlich psychotherapeutisch behandlungsbedürftig macht; der weitaus größte Teil aller Krebspatienten übersteht die Erkrankung ohne eine „Störung mit Krankheitswert“ – so formulieren es die Kostenträger – zu entwickeln. Auch gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege für die Hypothese, dass eine Psychotherapie direkt Einfluss auf den Verlauf der Krebserkrankung nehmen könnte und man infolgedessen zur Verbesserung der Heilungschancen psychotherapiert werden müsste.
PSYCHOTHERAPIE KANN KREBS NICHT HEILEN ODER VERHINDERN.
Man schätzt, dass bei etwa einem Drittel aller Krebspatienten im Lauf der Erkrankung psychotherapeutische Behandlungsanlässe oder sogar eine seelische Störung entstehen.
Interessanterweise hat das nicht unbedingt mit der Schwere der Erkrankung zu tun. Viele Studien zeigen, dass das Krankheitsstadium, die Prognose, und die körperlichen Beeinträchtigungen nur mäßig mit dem Grad der seelischen Belastung zusammenhängen. Viele Patienten halten auch in äußerst bedrängten Situationen eine hohe Lebenszufriedenheit und subjektive Lebensqualität aufrecht.
Im Laufe einer Krebsbehandlung entstehen jedoch oft zugespitzte Situationen, in denen auch seelisch gesunde Menschen plötzlich überfordert sind. Dazu gehören für viele die Tage und Wochen, in denen sich ihre Diagnose herauskristallisiert, oder auch das Zurückkehren der Krebserkrankung, wenn man sich geheilt geglaubt oder zumindest Hoffung auf ein langes krankheitsfreies Intervall gehabt hatte.
Auch Behandlungsformen mit lang andauernden und zum Teil extrem strapaziösen medizinischen Maßnahmen wie etwa eine Knochenmarktransplantation können die seelischen Kräfte eines Menschen zumindest vorübergehend erschöpfen oder übersteigen.
Zudem gibt es reichlich Lebenskonstellationen, in denen die Krebserkrankung nicht die einzige Belastung im Leben ist, sondern sich zu bereits bestehenden Problemen, wie einer belasteten Partnerschaft oder einer vorbestehenden seelischen Erkrankung gestellt hat.
„Nachdem ich diesen Hirntumor bekommen hatte, dachte ich, das Leben würde mir jetzt mal eine Pause gönnen. Also, dass nicht noch andere Probleme dazu kommen würden. Aber dann ging unsere Firma in die Insolvenz und mir wurde irgendwann alles zuviel.“ (Krebspatient, 52 Jahre)
Schließlich tritt bei einem Teil der Krebspatienten die Situation ein, dass sie sich von der Hoffnung auf Heilung verabschieden müssen und mit der Aussicht auf begrenzte Lebenszeit zurechtkommen müssen.
In all diesen Situationen können die Gedankenwelt, die Beziehungen zu Angehörigen oder die Alltagsbewältigung aus dem Lot geraten. Bewährte Verhaltensweisen und Bewältigungsstrategien funktionieren plötzlich nicht mehr ausreichend gut, möglicherweise haben sich Symptome einer seelischen Störung wie depressive Verstimmungen oder überstarke Ängste eingestellt. Oder der Leidensdruck ist sehr hoch, auch wenn man nicht von einer psychischen Störung im engeren Sinne sprechen muss.
WAS UNTERSCHEIDET EINEN PSYCHOONKOLOGEN VON ANDEREN PSYCHOTHERAPEUTEN?
Im Einzelfall vielleicht gar nicht so viel. Auch Psychotherapeuten, die nicht speziell in Psychoonkologie fortgebildet sind, haben selbstverständlich gelernt, Menschen in Extremsituation und im Umgang mit Belastungen zu helfen. Viele von ihnen verfügen zudem über Zusatzausbildungen in therapeutischen Verfahren – wie etwa der Hypno- oder Traumatherapie – die für onkologische Patienten äußerst nützlich sind. Wer also bereits eine gute Arbeitsbeziehung zu einem Psychotherapeuten hat, muss nicht den Therapeuten wechseln, wenn er im Verlauf einer Psychotherapie an Krebs erkrankt. Und wer gerade keinen freien Therapieplatz bei einem psychoonkologisch weitergebildeten Psychotherapeuten findet, wird bei einem entweder eher tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch gut ausgebildeten (und am besten approbierten) ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten oft genauso gut aufgehoben sein.
Trotzdem versuchen Psychoonkologen eine therapeutische Situation herzustellen, die auf die Bedürfnisse von Krebspatienten besonders gut zugeschnitten ist und bilden sich entsprechend fort. Dann haben sie evtl. auch andere Abrechnungsmöglichkeiten als andere Kollegen, zum Beispiel über sogenannte Disease Management Programme (DMP). Der Anspruch, den ich persönlich an psychoonkologisch tätige Therapeuten – und damit
an mich selbst – stelle, ist folgender:
Psychoonkologen sprechen unbefangen über Krebs und brauchen nicht um das K-Wort herumzudrucksen. Sie kennen sich grundsätzlich gut mit medizinischen Inhalten und medizinischem Denken aus, machen sich laufend vertraut mit aktuellen Trends in der Krebsmedizin, mit gängigen Behandlungsformen, Medikamenten und Eingriffen. Ein hilfreich wirkender Psychoonkologe hat sich mit den für Patienten sehr wichtigen Übergängen und Unterschieden zwischen Schul-, Komplementär- und Alternativmedizin befasst. Deshalb kann er Patienten bei der Wahl von Behandlungsmethoden, Ärzten und anderen Behandlern beratend zur Seite stehen.
Erfahrene Psychoonkologen sind außerdem mit den typischen Konfliktsituationen vertraut, die die Situation Krebskranker ausmachen. Sie kennen Techniken und Verfahren, die Körpersymptome wie Schmerzen, Anspannung und therapiebedingte Übelkeit lindern können und leiten Patienten konkret dazu an, diese zu nutzen. Psychoonkologen sollten außerdem mit dem oft ausgeprägten Informationsbedürfnis ihrer Patienten umgehen können, auf wichtige Kontaktadressen und Internetadressen hinweisen sowie bei Bedarf Kontakte zu Selbsthilfeorganisationen, Ärzten oder anderen Patienten herstellen. Patienten profitieren von Psychoonkologen, die nicht als Einzelkämpfer, sondern in einem Netzwerk von Behandlern, also im Verbund mit Onkologen, Kliniken und Experten für sozialrechtliche Fragen arbeiten.
Organisatorisch muss ein Psychoonkologe oft flexibler mit Terminen umgehen, als seine Kollegen: Die körperliche Verfassung der Patienten kann während der Akutbehandlung unvorhersehbar schwanken, stationäre Aufenthalte unterbrechen den ambulanten Psychotherapieverlauf oft länger.
Und schließlich das aus meiner Sicht wichtigste Merkmal eines wirksamen Psychoonkologen: Er mag sein Tätigkeitsfeld gerne und das sollte man als Patient im Kontakt auch spüren!
Ziel jeder psychoonkologischen Intervention ist es, Patienten so zu stabilisieren, dass sie ihre eigenen Ressourcen, also vorhandene Stärken, wieder besser nutzen können und dass sie sich an die veränderten Lebensumstände soweit anpassen, dass sie baldmöglich wieder ohne psychotherapeutische Hilfe zurechtkommen.
PSYCHOONKOLOGIE UNTERSTÜTZT VORÜBERGEHEND, BIS DIE EIGENEN KRÄFTE WIEDER REICHEN.
Die Möglichkeiten der Psychoonkologie umfassen im Grunde alles, was der Psychotherapie auch sonst zu Gebote steht; im Wesentlichen werden bewährte Methoden an die krisenhaften Bedingungen der onkologischen Behandlung angepasst. Besonders bedeutsam sind Techniken, die akute Kriseninterventionen oder eine rasche Symptomlinderung erlauben, wie etwa Entspannungs- und Vorstellungstechniken. Zum Einsatz kommen darüberhinaus systemische hypno- und traumatherapeutische Methoden.