Fast jeder Psychoonkologe kennt das Thema: Patienten stellen sich nach der Krebsdiagnose in den psychotherapeutischen Praxen mit dem Wunsch vor, Ihr Leben verändern zu wollen.
Oft wissen die Patienten noch nicht genau, wo und wie sie ansetzen sollen; aber sie tragen eine tiefe Überzeugung in sich, dass sie eine Lebensveränderung anstreben müssen, um wieder gesund zu werden bzw. einen möglichen Krankheitsrückfall abzuwenden.
Bei Patienten, die stark übergewichtig sind, rauchen, zu viel Alkohol trinken oder sich kaum bewegen, kann es in der Tat sinnvoll sein, nach der Kresbdiagnose mit Ärzten oder Psychoonkologen über die Veränderung von Gewohnheiten oder den Lebensstil zu sprechen.
Aber ich treffe in meiner Praxis zunehmend häufiger auf krebskranke Menschen, die sich unter einem immensen Druck fühlen, in ihrem Leben den psychologischen Wurm finden zu müssen. Nicht selten werfen sie einen sehr kritischen Blick zurück auf ihr Leben vor der Krebsdiagnose, stellen plötzlich vieles in Frage, wie etwa Beziehungen oder die Situation am Arbeitsplatz. Psychoonkologische Unterstützung suchen sie vor allem, weil sie vermuten, irgendeine Form von Raubbau an ihrem Körper oder ihrer Seele betrieben zu haben, der sie womöglich krebskrank gemacht hat. Betrachten wir gemeinsam ihr bisheriges Leben, so stellt sich oft heraus, dass es ein Leben war, wie Leben eben sind: Es gab gute Zeiten und schlechte, Verluste und Gewinne, Enttäuschung und Beglückung, und natürlich Stress in allen Varianten. Das ist das Leben, und Gott sei Dank sind Menschen und ihre Körper genau daraufhin konstruiert, Belastung, Kränkung und Trauma nicht nur auszuhalten, sondern diese und andere Stressoren meistens im guten Sinne zu bewältigen, ohne zwangsläufig davon krank zu werden.
Seriöse Psychoonkologen werden also den Wünschen ihrer Patienten nach einer Neuausrichtung des Lebens sehr genau zuhören. Aber sie werden auch darauf aufmerksam machen, dass es beim gegenwärtigen Stand der Krebsforschung keinen selbstverständlichen oder simplen Zusammenhang von Krebsdiagnose und der Notwendigkeit zu einer Lebensveränderung gibt.
Der bekannte Schweizer Psychiater Frank Urbaniok, sprach kürzlich in der NZZ über seine eigene Krebserkrankung. Auf die Frage der Züricher Zeitung, ob für ihn nach der Krebsdiagnose der Wert des Lebens eine andere Bedeutung bekommen habe, meinte er lapidar " Nein. Mir war nach der Diagnose sofort bewusst, was das bedeutet. Klar war das schockierend, aber ich habe nicht damit gehadert. Es war mir immer klar, dass so etwas passieren kann. Meine Krankheit war und ist eine existentielle Bedrohung, sie hat fürchterliche, auch traumatisierende Aspekte. Aber sie hat mir keine neue Einsicht vermittelt. So etwas gehört zum Leben, und sehr viele Menschen sind in ähnlichen Situationen."
Das ist also auch eine Art, die Dinge zu sehen: Dass eine Krebsdiagnose keine Botschaft im Gepäck hat, und keine Erleuchtung oder Einsicht für die Betroffenen parat hält - außer, dass es nun gilt, die Krankheit zu überstehen. Und sehr oft spricht überhaupt nichts dagegen, das Leben nach der Krankheit wieder so aufnehmen, wie es vorher war - vielleicht sogar ziemlich gut.